Kritiken

Faust / Reloaded


Wallgraben Theater: Faust/ Reloaded. Mit Ives Pancera. Foto: Marvin Maurer

Badische Zeitung, 27.02.2012 von Heidi Ossenberg

Keine Rettung möglich

"Faust/Reloaded" am Freiburger Wallgraben-Theater . . .


https://www.badische-zeitung.de/theater-rezensionen/keine-rettung-moeglich--56311717.html

 

Kultur Joker März 2012

Take me to a better place

Das Wallgraben Theater zeigt Faust/Reloaded von Andreas von Studnitz nach der Vorlage von Johann Wolfgang von Goethe Der Faust 2012 ist der gleiche wie 1808: Heute wie damals ist er weltfremd, sozial isoliert, hungrig nach Erfahrung. Schlafend liegt er auf seinem Bett, die Tastatur seines Computers fest umklammert. Faust 2.0 ist ein Nerd: Seine Studen- tenbude ist lieblos eingerichtet und mit halbleeren Pizzakartons zugemüllt. Sein Kontakt zu Frauen beschränkt sich auf deren Rolle als Pornodarstel- lerinnen, nebenbei läuft ein Sexfilm. Doch selbst das laute Stöhnen kann Faust nicht recht aus seiner Lethargie reißen. Beherzt fasst er sich in den Schritt – und lässt es sogleich bleiben. Langeweile und Stupidität prägen seinen Alltag: „Und so ist mir das Dasein eine Last, der Tod erwünscht, das Leben mir verhasst.“ Sein Computer thront herr- schaftlich in der Mitte des Zimmers – er ist es, der Fausts Leben bestimmt. Deshalb verwundert kaum, dass daraus die Stimme Gretchens ertönt: „Rette mich!“ Hektisch kramt Faust eine längst vergessene DVD hervor und legt sie ein: „Come to the magnificant world of Faust/Reloaded.“ Das Computerspiel beginnt. Doch was für den lebenshungrigen Protagonisten auf den ersten Blick prächtig erscheint – er kann Gretchen treffen – entpuppt sich als die bekannte Katastrophe. Denn das Spiel ist eingefädelt durch Mephisto: „Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.“ Noch bevor der Teufel Faust zu Liebesglück verhilft, besiegeln sie den diabolischen Pakt. Auch der Faust 2.0 scheitert an seiner Verantwortung. Er kann, man ahnt es, Gretchen nicht vor der Tragödie bewahren. Am Ende ist die Bühne in blutrotes Licht getaucht: Sie hat ihr neugeborenes Kind ertränkt. Der Autor und Regisseur Andreas von Studnitz reali- sierte ein subtiles Ein-Personen-Kammerstück. Der Originaltext ist stark auf eine Stunde Spielzeit gekürzt; die Handlung auf das Minimalste reduziert. Nur die Dialoge zwischen Faust und Mephisto sowie Gretchen bestimmen das Geschehen. Alles spielt sich in- nerhalb eines Computerspiels auf einem für das Publikum nicht sichtbaren Bildschirm ab. Umso mehr sticht die schauspielerische Leistung von Ives Pancera (Faust) hervor. Über so manch langatmige Szene trägt der Schweizer durch eine präzise Mimik hinweg und schafft damit, die Phantasie des Publikums anzuregen. Faust steht die emotionale Überwältigung wahrhaft ins Gesicht geschrieben, als er Gretchen zum ers- ten Mal sieht. Mit Faust/Reloaded ist eine moderne Adaption des Klassikers von Goethe gelungen – in Zeit- und sozialkritischem Ge- wand. Was vor gut 200 Jahren den Typus des Wissenschaftlers verkörperte, ist heute der Computerfreak, der die Welt da draußen gegen den virtuellen Kosmos ausgetauscht hat. In Goethes Faust steht der Mephisto für die Verführungen des Lebens; in Faust/Reloaded stellt er die Verlockung dar, die vom Computer und dem Internet ausgehen – 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Dabei will die virtuelle Welt das bieten, was in der Realität nicht möglich ist. Sie verspricht uns, besser zu sein, glanzvoller und interessanter. Am Ende ist sie dumpfer, abstrakter, in Watte gepackt. Die Hausproduktion des Wallgraben Theaters greift ein aktuelles Thema auf, wirkt in ihrer Botschaft aber zu dramatisch. Es mag Computermiss- brauch durch Einzelne geben, ein gesellschaftliches Problem liegt deshalb noch nicht vor. Es überwiegen die Vorteile der elektronischen Revolution – ein mündiger Gebrauch vorausgesetzt. Dass dieser erlernt sein will, ist unbestritten. Deshalb bietet das Wallgraben Theater zusätzlich ein kulturpädagogisches Projekt für Schulklassen an. Weitere Vorstellungen vom 28.2.-18.3., Wallgraben Theater Freiburg. Elisa Makowski


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

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Deutscher Bühnenverein