Kritiken

"Der nackte Wahnsinn" von Michael Frayn

Badische Zeitung vom 08.12.2012

Von Türen und Sardinen

Hans Poeschl inszeniert im Freiburger Wallgraben-Theater die irre Komödie "Der nackte Wahnsinn" des Briten Michael Frayn.

  1. Wallgraben Theater: Der nackte Wahnsinn. Mit Ives Pancera; Elisabeth KreßlerFoto: Christine Deutsch

 

 

Man sollte sitzen bleiben. In der zweiten Pause von "Der nackte Wahnsinn" baut das Wallgraben-Ensemble das Bühnenbild erneut um. Diesmal darf das Publikum zuschauen – und staunen. Denn diese Produktion mit acht Türen zum Rein- und Rausstürmen, mit einer Fensterfront und zwei Treppen auf zwei drehbaren Ebenen, ist aufwändig und mit einem Personal von neun Schauspielern auf der überschaubaren Kellerbühne richtig groß. So präzise, wie das Bühnenbild von Martin Dorsch und Rolf Hämmerle in einer Viertelstunde Pause umgearbeitet wird, so präzise spielt das Ensemble auch diese irre Komödie des Briten Michael Frayn. Zweieinhalb Stunden kommt das Publikum schier aus dem Lachen nicht mehr heraus. Eine beeindruckende Leistung – vor und hinter der Bühne!

Der Inhalt dieser 1982 uraufgeführten Farce ist schnell erzählt: Der erste Akt spielt wenige Stunden vor der Premiere von "Nackte Tatsachen". Ein Tournee-Ensemble ist in der Generalprobe vor allem damit beschäftigt, Auf- und Abtritte zu hinterfragen und den richtigen Text zur richtigen Zeit aufzusagen. Trotz der angespannten Gemengelage, inklusive Kontaktlinsenverlust und Nasenbluten, sind alle furchtbar nett zueinander, nennen sich "Schätzchen" und "Liebling". Regisseur Lloyd, vom wahren Regisseur Hans Poeschl gespielt, hält sich für Gott – und sein Gebot lautet: "Wir konzentrieren uns auf Türen und Sardinen, das ist Farce, das ist Theater, das ist Leben!"

Im zweiten Akt spielt die Truppe ihr Stück tatsächlich vor Publikum – doch die Perspektive des Freiburger Zuschauers ist die der Hinterbühne. Dort geht es deutlich aggressiver zu als noch in der Generalprobe – wer nun wen "Schätzchen" nennen darf, wird vom jeweils anderen streng beäugt – oder auch mal niedergestreckt. Auch der dem Alkohol zugeneigte Selsdon wird vom übrigen Personal streng bewacht: Wird er seinen Auftritt als Einbrecher erneut versemmeln?

Nach dem neuerlichen Umbau der Bühne – im dritten Akt sieht das Publikum wieder in das Haus, in dem Haushälterin Mrs. Clackett pausenlos mit den Sardinen hantiert – ist der Wahnsinn komplett ausgebrochen. Bei der letzten Aufführung des Stücks vor Publikum ist nichts mehr so, wie Regisseur Lloyd es eingerichtet hat, statt dessen herrschen Anarchie und Verzweiflung. Aus der Schauspieltruppe, die etwas gemeinsam auf die Bühne stellen wollte, ist ein Rudel fieser Einzelkämpfer geworden. Jeder möchte nur noch mit heiler Haut aus dem Desaster herauskommen ...

Perfektes Timing und präzises Spiel – Tür auf, Tür zu – sind in Stücken wie diesem unerlässlich. Das ist schon in konventionellen Boulevardkomödien für die Schauspieler harte Arbeit; für das hier gezeigte Stück im Stück aber erfordert es ein riesiges Maß an Konzentration und Disziplin – gleichzeitig müssen Tempo und Spielfreude auf die Bühne. Das Wallgraben-Ensemble schafft das in der Premiere nahezu perfekt – und nur so kann "Der nackte Wahnsinn" zu solch einem Lacherfolg werden. Wobei man sich nicht nur über die vielfältigen Missgeschicke und unfreiwilligen Slapstickeinlagen der Schauspieler amüsiert – Michael Frayn hat überdies kluge Dialoge komponiert, den Boden für feine Ironie bereitet und dank genauer Beobachtung wunderbare Figuren geschaffen, in denen man sich auch ein Stück weit selber finden kann. Das Team aus Regine Effinger, Hans Poeschl, Ives Pancera, Elisabeth Kreßler, David Imper, Sybille Denker, Johann Jakoby, Katharina Rauenbusch und Burkhard Wein ist für diese britische Komödie glänzend besetzt. Dafür bedankte sich das Premierenpublikum mit begeistertem Applaus.

– Weitere Aufführungen bis Ende Januar. Karten beim BZ-Kartenservice unter 0761/4968888.


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

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