Bartsch – Kindermörder

Monolog von Oliver Reese

Spielzeit: November 2012

Darsteller: David Imper
Regie: Hans Poeschl

Der Fall des 19jährigen Jürgen Bartsch aus Essen, der zwischen 1962 und 1966 vier kleine Jungen auf grausame Weise quälte und ermordete, hat seinerzeit die Bevölkerung erschüttert. Schnell kamen Rufe nach der Todesstrafe auf. Weit weniger ist bekannt, wie Jürgen Bartsch sich mit seiner Tat, seinem Trieb, seiner ganzen Person auseinandergesetzt hat. Aus rund 400 Briefen, die Bartsch aus der Haft an den amerikanischen Journalisten Paul Moor geschrieben hat, montierte Oliver Reese einen Theatermonolog über die Geschichte einer Kindheit in Deutschland, der bislang über 50 Inszenierungen erlebte. Ein bewegendes Stück über das Verstehen ohne zu verzeihen.

Regie Hans Poeschl

Mit David Imper

 

Wiederaufnahme 01.11.2011, 20 Uhr

weitere Vorstellungen 02.11. /07.11. / 08.11.2012, 20 Uhr

 

Badische Zeitung vom 08.02.2010

Er sitzt schon da, als ob er auf einen gewartet hätte — an einem kleinen Tisch, mit dem Rücken zum Publikum. Ein dunkler Spiegel verschattet sein Gesicht. Dafür trägt er ein blütenweißes Hemd unter dem weinroten Pullunder, das kurze Haar akkurat frisiert, schmalrandige Brille. Kann dieser adrette junge Mann ein Mörder sein? Ein Kindermörder? Dass Oliver Reese einen — 1992 uraufgeführten — dramatischen Monolog mit dem Titel "Bartsch. Kindermörder" verfassen konnte, der jetzt am Freiburger Wallgraben-Theater Premiere hatte, verdankt sich Jürgen Bartsch selbst


 

. Wie seine Taten im Nachkriegsdeutschland beispiellos geblieben sind, so auch sein Reflexions- und Artikulationsvermögen: In 250 Briefen an den amerikanischen Journalisten Paul Moor hat der weit über dem Durchschnitt intelligente Adoptivsohn eines Essener Metzgerehepaars geschildert, wie es zu den bestialischen Morden an vier Jungen in einem ehemaligen Luftschutzbunker in der Umgebung von Essen kam. Er hat seine trostlose Kindheit beschrieben und seine obsessiven Empfindungen, die ihn, kaum selbst der Kindheit entwachsen, zur Jagd auf Kinder, zu ihrer Fesselung, Misshandlung, Tötung und Zerstückelung zwangen. Das ist schwer erträglich.


Umso mehr sind der Mut des Regisseurs Hans Poeschl und — besonders — des Schauspielers David Imper zu würdigen, die sich in Zusammenarbeit mit Schülern des Freiburger Rotteck-Gymnasiums (unter Anleitung von Isolde Tröndle) und der Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule (unter Anleitung von Hiltrud Hainmüller und Mathias Lauck) den in jeder Hinsicht spektakulären Fall aus den 1960er Jahren auf der Bühne noch einmal vergegenwärtigen. Und ungeahnte Aktualität wächst Jürgen Bartschs Erziehung an einem katholischen Jungeninternat in Marienhausen durch die eben bekannt gewordenen Missbrauchsfälle an den Jesuiten-Kollegs in Berlin und St. Blasien zu. Auch Jürgen Bartsch, der von 1958 — da war er zwölf — bis zu seiner Flucht zwei Jahr später von Patres "betreut" und das heißt vor allem: geschlagen und gedemütigt wurde, wurde von einem von ihnen zu sexuellen Handlungen genötigt. Wenn es eine Methode zur Züchtung von Homosexualität gebe, dann finde man sie in Marienhausen, hat er an Paul Moor geschrieben.


Den Satz sagt auch David Imper, und dabei stottert er, aber nur ein bisschen: wie jemand, der sich vor den eigenen Wörtern fürchtet. Mit diesem leichten Zögern, in dem das Entsetzen unterschwellig mitschwingt, ist der Ton gefunden, der diese Aufführung über fast eineinhalb Stunden trägt. Man folgt den Bekenntnissen des Kindermörders mit wachsender Beklemmung — und fragt sich, wie weit sich die Inszenierung vorwagen wird in die Abgründe einer tief gestörten Psyche.


Alles verstehen heißt nicht alles verzeihen: Dieser moralisch-aufklärerischen Maxime hat sich schon der furchtlose Paul Moor verpflichtet gefühlt, der im über sich selbst verzweifelten Jürgen Bartsch, der in der Haft ohne jede therapeutische Betreuung blieb, einen willigen Gesprächspartner fand. Und so verwandelt sich die Freiburger Kellerbühne für einen schrecklichen Augenblick in die Höhle, in der Bartsch seinen (Selbst)Hass und seine sexuelle Machtlust hemmungslos auslebte. Vier rote Friedhofslichter, eine schemenhafte Gestalt hinter einer milchigen Scheibe, die Stimme, die erzählt, was geschah, vom Band: Mit sicherem Gespür steuert Poeschl die Aufführung zwischen Voyeurismus und Kapitulation vor dem nicht Darstellbaren hindurch.


Der Rest ist eine grandiose schauspielerische Leistung. Jürgen Bartsch zu sein ist eine Herausforderung, die David Imper mit sparsamem Einsatz schauspielerischer Mittel meistert. Die Schrecken einer für die 50er-Jahre nicht untypischen Kindheit ohne jede Liebe in einem von Herrschsucht und Sauberkeitszwang regierten Elternhaus, die totale Einsamkeit eines Kindes, das nicht mit seinesgleichen spielen durfte, die in den erschütternden Wunsch mündet, immer Junge bleiben zu wollen: Das alles wird in Impers Darstellung nachvollziehbar. Doch wie daraus das, so Bartsch, "Anzünden des Hexenkessels" folgte: Das wird für Außenstehende wohl immer unerklärlich bleiben.(Bettina Schulte, BZ)

So ein Pech aber auch: Da rät der besorgte Hemdenvertreter Francis Pignon seiner Frau wegen ihrer Depression einen Psychiater aufzusuchen – und kurze Zeit später verlässt ihn die Geliebte, um künftig mit eben diesem Seelendoktor zusammen zu leben. Weil Louise (Sybille Denker) sich standhaft weigert, ins traute Heim zurückzukehren, weiß Pignon keinen Ausweg mehr – in einem Hotelzimmer will er seinem traurigen Leben ein Ende setzen.


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

Gefördert durch
Deutscher Bühnenverein