Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen
Christine Brückner
Wiederaufnahme 29.10.2012, 20 Uhr
weitere Vorstellungen 30.10., 31.10., 02.11., 5.11.-8.11., 12.11.-14.11., 22.11., 23.11.
Dauer ca. 2 h
Mit Sybille Denker / Regine Effinger / Susanne Henneberger
Regie Steffi Bürger / Hans Poeschl /
Verlag / Aufführungsrechte S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
Sechs Frauen unterschiedlicher Epochen – sechs bekannte Lebensläufe. Doch was hat die Frauen in ihren bewegendsten Stunden wirklich beschäftigt? Was ist von ihren anfänglichen Träumen übrig geblieben? Konnten sie ihre Gedanken in ihrer Zeit laut formulieren? Sechs bewegende Monologe, die unterschiedlicher nicht sein könnten und auch in unserer emanzipierten Zeit noch Aussagekraft haben.
Das Wallgraben Theater gibt Ihnen eine Stimme: Christiane Goethe, Desdemona, Donna Laura, Effi Briest, Gudrun Ensslin und Megara halten ihre ungehaltenen Reden.
Regie Steffi Bürger / Hans Poeschl / Carola Ziemke
Mit Sybille Denker / Regine Effinger / Susanne Henneberger
UA 1984, Landesbühne Wilhelmshaven
Christine Brückner (1921-1996, Deutschland) war Roman- und Kinderbuchautorin. Ihre Romane „Jauche und Levkojen“ und „Nirgendwo ist Poenichen“ wurden als erfolgreiche Fernseh-Mehrteiler verfilmt. Die Monologe „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ erfuhren nicht nur hohe Auflagen, sondern gehörten auch zu den meistgespielten Stücken ihrer Zeit.
Regine Effinger Sybille Denker Susanne Henneberger
Kritik:
Fr, 12. Oktober 2012, Badischen Zeitung.
von Heidi Ossenberg
Mordswut im Bauch
Christine Brückners "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen" im Freiburger Wallgraben Theater.
Was für ein schönes Wort: Ungehalten. Eines freilich mit (mindestens) zwei Bedeutungen. Ungehaltene Reden sind solche, die niemand hat hören können, weil sie nie gehalten wurden. Das Grimm’sche Wörterbuch beschreibt, was auf den zweiten Teil des Theaterstücktitels von Christine Brückner (1921-1996) passt: Ungehaltene Frauen sind solche, die sich nicht im Zaum halten können, die sich – höchst emotional – Raum schaffen für ihre Botschaften.
Dieser Raum auf der Kellerbühne des Freiburger Wallgraben Theaters ist denkbar schlicht gestaltet: Weiße Wände mit sechs darin eingelassenen Schubladen umfangen die Bühne. Drei unterschiedlich große, bewegliche Podeste, die im Laufe des Abends zum Bett von Desdemona werden, zum Stühlchen für die wartende Christiane von Goethe oder zur Gefängnispritsche von Gudrun Ensslin, stehen darauf. Carola Ziemkes Bühne ist klug komponiert: Nichts lenkt ab von den Monologen der sechs Frauen, die, obgleich sie lange tot oder ohnehin "nur" als Fiktion lebendig, noch immer Wichtiges zu sagen haben.
Ob "Goethes dickere Hälfte" Christiane, Petrarcas schöne Muse Donna Laura, Othellos treue Ehefrau Desdemona, Baron von Instettens blutjunge Gattin Effi Briest, Pastor Ensslins rebellische Tochter Gudrun oder Christine Brückners Lysistrate-Gegenspielerin Megara – sie alle haben eine Mordswut im Bauch. Auf die vornehme Gesellschaft, die ein "Gossenkind" nicht anerkennt. Auf Männer, die Frauen anbeten wie Heiligenstatuen – darüber aber deren Recht auf ein eigenes Leben vergessen. Auf Väter, die sich hinter bürgerlichen Phrasen verstecken und auf Geschlechtsgenossinnen, die Gutes wollen aber zu den falschen Mitteln greifen. Allesamt kluge Frauen sind das, denen die Schriftstellerin Brückner Anfang der 1980er Jahre klare Worte und authentische Gefühle mitgab – Worte und Gefühle, die heute noch genau so glaubwürdig erklingen, wie damals.
Wenn sie denn von Schauspielerinnen glaubwürdig verkörpert werden. Im Fall von Regine Effinger, Sybille Denker und Susanne Henneberger, die unter der Regie von Steffi Bürger, Carola Ziemke und Hans Poeschl ungehalten reden, kann das aus vollem Herzen bejaht werden. Ein wunderbarer Abend der Schauspielkunst!
Sich allein Raum zu verschaffen auf einer nahezu leeren Bühne ist sicher kein leichtes Unterfangen. Bei einem Monolog existiert in der Regel kein Gegenüber, niemand, auf den die Darstellerin reagieren kann, mit dem sie agieren kann. Umso klüger ist die Idee der drei Regisseure, ihren Schauspielerinnen Hilfsmittel zu verschaffen, die zudem noch mit subtiler Bedeutung aufgeladen sind: der Scherenschnitt von Dichter Goethe, das Mikrophon an der Zellendecke in Stammheim, der Mantel des Kriegshelden Othello.
Packend geraten so die Monologe, das Spiel der drei nacheinander in je zwei Rollen auftretenden Schauspielerinnen ist präzise und von einer wunderbaren Leichtigkeit getragen. Sybille Denker schlüpft nacheinander in so diametral verschiedene Figuren wie Christiane von Goethe und Gudrun Ensslin und beherrscht die Naivität der einen wie die kalte Verzweiflung der anderen. Schaudernd durchlebt man bei Regine Effinger Donna Lauras Qualen einer lebendig Begrabenen – um sich kurz danach über Effingers quirlige Prostituierte Megara zu amüsieren. Susanne Henneberger darf noch ein wenig langsamer sprechen – verleiht aber den jungen Ehefrauen Desdemona und Effi Briest großartig viel Herz und Verstand. Langer Beifall für ein zweistündiges Theaterfest.
– Weitere Termine bis 10. November.