Kritiken

DAS MUSICAL: Der kleine Horrorladen

Badische Zeitung vom 16. Juli 2011

Das Schild mit der Aufschrift "Bitte nicht füttern" kennt jeder. Dass diese Aufforderung nicht nur für Tiere, sondern – sofern einem das eigene Leben lieb ist – auch für ganz bestimmte Pflanzen gilt, weiß jeder, der schon im "Kleinen Horrorladen" gewesen ist. In Deutschland, wo die Geschichte um die Menschenblut trinkende Blume 1986 erstmals gezeigt wurde, ist sie eins der am häufigsten aufgeführten Musicals. Das Freiburger Wallgraben Theater suchte Alan Menkens und Howard Ashmans skurrile US-amerikanische Musikkomödie nun für die 36. Rathaushofspiele aus, Martin Schurr brachte sie mit viel Tempo, überdrehtem Witz und einer engagierten Truppe von Schauspielern und Musikern auf die Bühne.

Die Skid Row ist nicht gerade eine bevorzugte Wohngegend in irgendeiner amerikanischen Großstadt. Vor Mr. Mushniks Blumenladen liegt ein Obdachloser, und auch diejenigen, die ein Dach über dem Kopf haben, werden vom Glück nicht gerade verfolgt. So verirrt sich in Mr. Mushniks Blumenladen nie ein Kunde, was unweigerlich dazu führt, dass seine Angestellten Seymour und Audrey bald ohne Job dastehen werden. In allerletzter Minute schleppt Seymour ein ungewöhnlich aussehendes Pflänzchen in einem Topf an, das der Hilfsflorist einem alten Chinesen während einer Sonnenfinsternis abgekauft hat. Seymour nennt es nach seiner heimlich Angebeteten Audrey Zwo – doch von der scheuen Zurückhaltung ihrer Namensgeberin, die von ihrem Freund, dem sadistischen Zahnarzt Orin, gequält wird, hat die Horrorpflanze so ganz und gar nichts. Nur Seymour kennt ihr Geheimnis: Er füttert sie mit seinem eigenen Blut.
Weil Audrey Zwo dank dieses Zaubertranks wunderbar wächst und gedeiht, wird sie die Attraktion des Ladens, der sich vor Kunden nun kaum noch retten kann. Es braucht nicht viel Fantasie, sich auszumalen, wie die Geschichte weitergeht: Audrey Zwo wird immer unersättlicher, Seymour geht das eigene Blut aus, und er ist gezwungen, sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nach Nahrung für das Monster umzusehen.

Die hanebüchene Geschichte kann kein Happy End haben – und es ist gut, dass der Regisseur sich gar nicht erst um eine weichgespülte Schlussvariante bemüht hat. Solchermaßen hat Martin Schurr das ganze Musical von dem Schmelz befreit, der bei der Verfilmung von Roger Corman aus dem Jahr 1960 noch im Vordergrund stand. Audrey singt zwar immer noch mit Inbrunst von ihrem Traum, mit Seymour ein Häuschen im Grünen zu teilen ("mit Gardinen auch auf dem Gästeklo"), doch Stefanie Verkerk spielt sie nicht als quietschendes Trutscherl, das kaum ein Bein vor das andere setzen kann. Auch Jirka Sova, der mit seinen Vielfachqualitäten als Schauspieler, Pantomime, Musiker und Tänzer glänzt, legt seinen Seymour weitaus weniger tolpatschig an als so mancher seiner Vorgänger in der Rolle – dafür ist er ein ehrlich Verzweifelter, der so lange auf der Schattenseite des Lebens stand, dass er den Versuchungen von Ruhm und Ehre nun einfach nicht widerstehen kann.

Schlichtweg klasse ist das musikalische "Beiwerk" auf der mit wenigen wandelbaren Elementen bestückten Bühne: Nicole Haas, Juliane Hollerbach und Stefanie Verkerk als schrille Sängerinnen in irrwitzigen Kostümen sind herrlich komisch und von ebenso beeindruckender Musikalität wie Sascha Bendiks, der ein ums andere Mal die E-Gitarre quält – aber auch als Audrey Zwo eine furchterregend gute Figur macht. Begeisterter Applaus.  (BRZ, Heidi Ossenberg)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

Gefördert durch
Deutscher Bühnenverein