Kritiken

Groß und klein von Botho Strauß

Kultur Joker vom 18.03.2006

Einzimmergesellschaft BRD

"In den 70er Jahren finde ich einer zurecht", klagt Lotte 1 "Groß und klein". Aber was sagt Botho Strauß dann eigentlich erst zur Gegenwart? Seit einem viel kritisierten "Anschwellenden Bocksgesang" hat man nicht mehr viel vom 944 geborenen Autor gehört, gespielt werden seine Stücke dennoch, sei es in Zürich oder und eben im Freiburger Wallraben Theater. "Groß und .klein", 1978 uraufgeführt, ist eine Zeitreise in die 1970er Jahre, die in Robert Klatts Inszenierung mit viel Freude an, den Op-Art-Mustern und dem Design dieser Zeit ausgestattet wird. Überlebt hat sich das Stück trotz seines Alters nicht, der Rückzug, genauer der Hinlauswurf von Lotte aus allen menschlichen Beziehungen, bietet heute auch noch dramatischen Stoff.


Dabei beginnt alles vielversprechend in der Hitze Marokkos. Erlebnishungrig sitzt, Lotte (Regine Effinger) an der Bar und bläst Luft in ihren Cocktail. Draußen unterhalten sich zwei Männer. Während sie horcht, wartet sie insgeheim darauf, dass die beiden in der die Frau im Neckholderkleid mit den klimpernden Ohrringen auffällt, dass die Nacht nicht alleine an der Hotelbar im heißen Agadir endet. Denn sie ist willig, wie einer ihrer späteren Liebhaber sagen wird, alles richtig zu machen, unabkömmlich und ihren Freunden eine Freude zu werden. Doch nichts geschieht. Ernüchtert reißt sich die nicht mehr ganz junge, aber auch längst nicht alte Frau die falschen Wimpern und den Schmuck herunter.


Eine tragende Rolle in Robert Klatts Inszenierung spielt die Projektionswand, hinter der die beiden sehnsuchtvoll belauschten Männer zu sehen sind und auf die ein arabisches Muster projiziert wird. Autor Botho Strauß, so lässt sich im Programmheft nachlesen, hätte das wohl als ?technische Überfremdung" abgetan und irrt hier. Gelingt so doch ein schneller Wechsel, immer wieder verwirrende Irritationen zwischen Innen und Außen und nicht zuletzt sind auf ihr die jeweiligen Szenentitel und Figuren zu lesen, was Strauß' Experimentaufbau einer zunehmenden Vereinsamung Rechnung trägt (Licht: Ralf Hämmerle, Jann Warzecha; Videoinstallation: Thomas Krohn).


Trotz Lottes Niedergang von der neugierigen, erotischen Frau zur blassen, bekehrten ?Gerechten" ist ?Groß und klein" über lange Strecken sehr komisch. Und dies ohne den von Strauß häufig angeschlagenen hohen ton lächerlich zu machen. Denn Regine Effinger lässt sehr Distanz, manchmal auch Selbstironie zu bei ihrer Lotte. Etwa, wenn sie den Hippie mit der Gitarre (Hans Poeschl) vorauseilend mit einem ?klar Du, klar" kopiert, als dieser ihr die Gepflogenheiten in Inges Mietshaus erklärt, gegen die sie natürlich alle verstößt. Erstes Gebot: eine Gemeinschaft zwischen den Bewohnern der Einzimmer-Appartements soll erst gar nicht aufkommen.


Überhaupt ist das Ensemble gut aufgelegt und sehr wandlungsfreudig, Heinz Meier und Sybille Denker glänzen in der verstiegen, religiösen Kumpanei von Vater und Tochter, Gabriele Zink gibt den Türken dazu, der schon mal für eine absurde Diashow in die Rolle von Christus schlüpft. Und Peter Haug-Lamersdorf liefert mit seinem widerlichen Paul, Lottes Ehemann, den Grund für ihre Selbstverneinung. Die alte BRD wird hier als Einzimmergesellschaft vorgeführt, in der keiner für den anderen sorgt. Das ist keine angenehme Bestandsaufnahme, die uns da aus den 70er Jahren anweht und die Zeiten sind nicht besser geworden, ?Groß und klein" ist durchweg überzeugend gespielt und unbedingt sehenswert. (Annette Hofmann)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

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