Kritiken

Das Maß der Dinge von Neil LaBute

Badische Zeitung vom 02.05.2006

Dirk Schröter inszenierte am Freiburger Wallgraben-Theater Neil LaButes Stück um Liebe und Formbarkeit

Was liebst du an anderen? Meine Hoffnungen?, heißt es in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft. Doch die von der energischen Kunststudentin Evelyn betriebene Wissenschaft in der Liebeskunst ist zugleich eine formende und zurichtende.

Nicht genug, dass sie mit Hilfe einer Sprühdose die im Museum der kleinen Universitätsstadt gezeigte männlichen Statue um ein unverzichtbares Körperteil ergänzen will ? der schüchterne junge Aufseher Adam erweist sich sogleich als ein viel lustvolleres Objekt der Formung, weil er statt aus Gips oder Marmor eben aus Fleisch und Blut besteht.Ihre schrittweise Verwandlung des linkischen, scheuen und obendrein kurzsichtigen Anglistik-Studenten in einen selbstbewussten und gut aussehenden jungen Mann voller Ausstrahlung und Kraft könnte als schöner Erfolg der Menschlichkeit gelten, wäre da nicht die Vorspiegelung der Liebe, wo berechnender Zweck und das notwendige Bestehen einer Präsentationsprüfung die eigentlichen Triebfedern sind . . .


Dirk Schröter, der scheidende Spielleiter und Dramaturg am Freiburger Wallgraben-Theater, führt in dem ?Schauspiel? des US-Amerikaners Neil LaBute mit leichter Hand die erotischen Verwirrungen und Verwechslungen zweier junger Paare zusammen. Auch wenn die Qualität der Dialoge leider immer wieder auf das Niveau billiger amerikanischer Vorabendserien absinkt (einige Streichungen hätten dem Werklein gut getan), bringt der stets spannende Pygmalion - Stoff und die große Bühnenpräsenz der Schauspieler ein zwischen Heiterkeit und Ernst hin und her pendelndes Geschehen zu Wege.


Heidi Klein als Evelyn verkörpert nicht ohne massive Wuchtigkeit den eisernen Willen zum Erfolg, wie er im American Dream einstmals allein den Männern vorbehalten war. Als Adam, seiner braunen Kordjacke entwachsen, gestylt, mit neuem Haarschnitt und Kontaktlinsen versehen, seine Degradierung vom Geliebten zum bloßen Objekt künstlerischer Dokumentation durchschaut, misslingt leider eine wirklich dramatische Konfrontation der beiden bei der ?Vernissage? . ?Irgendwer zahlt für deine zwei Minuten auf CNN? , heißt es lakonisch, und damit erscheint schlaglichtartig die ?Welt als Phantom und Matrize? (Günther Anders), der sich der Mensch ? weil er, so wie er ist, nicht bestehen kann ? als Kunstprodukt seiner selbst zu unterwerfen hat.


Ein ernstes Thema, zu ernst für den Boulevard vielleicht. Jenny und Phillip sind das befreundete ?Gegenpaar? , sind zwischen Vorstadttraum vom Eheleben und Cocktailparty-Kultur eher angepasst (Susanne Winkler und Patrick Schmick) und vom Lebensgrübel nicht angekränkelt. Sie mischen Evelyn und Adams Geschichte mit Hilfe schlichterer Verlockungen kräftig auf.


Eine muntere, frische Inszenierung, besonders für junge Menschen, lebendig und unterhaltsam, die jede Menge Stoff für Gespräche über Gestaltung und Sinn des Lebens zu zweit liefert. Gelungen sind auch das ebenso schlichte wie klare, mit farbigen Schattenrissen spielende Bühnenbild und die Kostüme (Susanne Mühlbauer). Ein weiterer guter Schritt zur Verjüngung des Wallgraben-Theaters und seines Publikums. (Peter Winterling)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

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