Kritiken

Der Liebhaber von Harold Pinter (BZ)

Badische Zeitung vom 01.03.2007

Anatol Preissler inszeniert am Freiburger Wallgraben-Theater Harold Pinters Einakter "Der Liebhaber"

Was nur soll der Milchmann? Der Milchmann ist, technisch gesprochen, das Scharnier, in dem Harold Pinters 1963 uraufgeführtes Stück "Der Liebhaber" hängt. Bis der Milchmann klingelt, scheint die Geschichte ihren realistischen Gang zu gehen: Ein Mann und seine Frau haben das cool-pragmatisch ausgewogene Agreement getroffen, dass die Frau regelmäßig zur Teestunde ihren Liebhaber empfängt, wenn der Mann in seinem Büro der Hochfinanz dient, wofür sich der Mann bei einer Hure schadlos hält. Wenn der Milchmann gegangen ist, ohne seine Sahne losgeworden zu sein, kommt Verwirrung auf: Ist der Liebhaber, der ihm auf dem Fuß folgt und den die Frau "Max" nennt, nicht ihr eigener Gatte in der Rolle des krawattenlosen, erotisch enthemmten Lovers? Wird hier der Ehebruch mittels spielerischer Persönlichkeitsspaltung an den gängigen Rollenmustern entlang nur simuliert? Aber was heißt bei Pinter ("Es gibt keine klaren Unterschiede zwischen dem, was wirklich und was unwirklich ist" ) schon "nur" ?
Im Freiburger Wallgraben-Theater, das den Einakter 1967 mit Ellinor von Landesen und dem als Liebhaber, wie die Badische Zeitung damals meinte, nicht recht überzeugenden Heinz Meier als aktuellen Beitrag zum zeitgenössischen Theater auf die Bühne brachte, versucht sich der junge Regisseur Anatol Preissler nun noch einmal an dem seit 2005 mit dem Literaturnobelpreis für seinen Autor geadelten "Liebhaber" in Zeiten, da ein eheliches Arrangement dieser Art die Gemüter weit weniger erregen dürfte als vor 45 Jahren. "Dass ich auf Knien meinem Schöpfer danken kann, wie gut ich's hab, sagt mein Mann" , dudelt es ironisch aus dem Radio, während Johanna Bronkalla mit Schürze überm kleinen Schwarzen (das Modehaus Kaiser hat für die Kostümausstattung gesorgt) gut gelaunt rhythmisch den Wischmopp schwingt: alles easy im abgeschiedenen Vorstadthaus von Sarah und Richard, das in Preisslers Bühnenbild vor allem aus einem je nach Stimmungslage farbig leuchtenden Fenster mit Jalousie besteht - man darf hier vielleicht kurz an Alain Robbe-Grillets Roman aus derselben Zeit denken, der sich die französische Doppelbedeutung von Jalousie (auch: Eifersucht) zunutze macht.


Die selbstbewusste, vor Vitalität strotzende junge Frau, die mit dem bisschen Haushalt keineswegs ausgelastet ist und heutzutage zweifellos einen Job hätte, hat, man sieht es gleich, die Sache - sprich: ihren Mann und ihre Ehe - voll im Griff. Hans Poeschl, seit Juni 2006 im Wallgraben-Leitungsteam, macht dagegen allein schon aus Gründen des Altersunterschieds einen leicht zerknitterten Eindruck. Der Mann , so scheint's, will wie viele Männer im gesetzten Alter am liebsten seine Ruhe und wäre im Grunde froh, dass seine Frau anderweitig beschäftigt ist - wenn nicht er selbst es wäre, der außer dem erfolgreichen Banker auch noch den Mann für gewisse Stunden geben muss: mit Altrockerlederjacke, Cowboystiefeln, rüder Machozigarettenanmache und Tangoausfallschritt (Choreografie: Anita Speiser) im tiefpurpurnen Widerschein: rot wie die Liebe, wie der Tod. Hans Poeschl beherrscht dieses Switching ebenso souverän und mit spürbarer Lust an der Verwandlung wie seine Partnerin, die sich mit knallroten Highheels lasziv auf dem Lederfauteuil räkeln und Minuten später wieder ganz die kontrollierte Ehefrau sein kann.


Es ist ein ziemlich gefährliches Spiel, das diese beiden da spielen - und der Mann ist derjenige, der irgendwann ausbrechen möchte aus den selbst gesetzten Regeln, die Doppelrolle nicht mehr aushält, den Job des Liebhabers kündigt und zugleich den Körper seines Begehrens verbal zernichtet ("Bist du bloß Haut und Knochen" ). Das klingt bei Pinter und auch im Wallgraben zunächst nur böse komisch, weil es nicht stimmt - wie die Inszenierung sich bis zu diesem Moment überhaupt leichtfüßig auf die ironische Seite geschlagen hat. Von dort bis zum Mord ist es für Anatol Preissler gleichwohl nur ein Schritt: Der Mann bringt nicht nur symbolisch die Geliebte (in seiner Frau), sondern seine Frau realiter um: aus Überforderung, aus Ratlosigkeit, wer weiß.


Vier Stühle räumt Poeschl in Reih und Glied neben die Totgeschossene. Vier Stühle für ein gescheitertes Paar. Ein eindrucksvoll lakonisches Bild. Bei Pinter allerdings spielen sie weiter. Und man weiß nicht: Ist es die Hölle oder das Paradies? (Bettina Schulte)




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Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

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