Kritiken

Falsche Schlange von Alan Ayckbourn

Badische Zeitung vom 18.04.2008

Temporeich inszeniert und mit viel Spielfreude umgesetzt, wird daraus ein überraschender Theaterabend. Was kann man mehr wollen?
(Heidi Ossenberg, BZ)

Oh, ja, Schwestern können sehr verschieden sein! Selbst, wenn sie gemeinsam in einem Haus aufgewachsen sind und die selbe Erziehung genossen haben. Umso spannender, ja abgründiger kann das schichtweise Häuten der Charaktere sein, das Alan Ayckbourn in seinem 2002 uraufgeführten, jetzt am Freiburger Wallgraben-Theater gezeigten Drei-Frauen-Stück "Falsche Schlange" so überaus kunstvoll beschrieben hat.


Annabel und Miriam sind so ein Schwesternpaar, das unterschiedlicher kaum sein könnte. Annabel (Regine Effinger), die ältere, ist eine modisch-elegant auftretende, gradlinige, selbstbewusste, starke Frau, die schon früh das Elternhaus verlassen hat, weil sie sich nie mit dem strengen, sturköpfigen Vater verstanden hat. Bis nach Tasmanien ist sie geflüchtet, dort hat sie ein Geschäft aufgebaut, geheiratet und sich wieder getrennt. Mehr als 30 Jahre ist sie nicht im Elternhaus in England gewesen - wozu auch?


Miriam (Sybille Denker) hingegen hat all die Jahre genau dort ausgeharrt. Das naiv und leicht trampelig wirkende Blondchen war dem Vater und einer gewissen Tante Gwen ein gutes Kind; freilich hat sie weitgehend versäumt, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Nun treffen die Schwestern erstmals als Erwachsene zusammen, drei Wochen nachdem der Vater gestorben ist. Überraschenderweise hat Annabel Haus und Vermögen geerbt, Miriam, die ihn versorgt hat, ist leer ausgegangen.Dies scheint die Ausgangslage in dem Kriminalstück zu sein, das sich in der Regie von Peter W. Hermanns bis zur Pause als manchmal fast zu laute, flapsige Boulevardkomödie tarnt. Doch Vorsicht! Der Zuschauer sollte sich an diesem Abend lieber nicht auf das verlassen, was er hört und sieht. Zunächst kaum merkbar, dann mit immer mehr Nachdruck und Tempo nimmt die Geschichte ihren Lauf, nehmen die Dialoge an Schärfe zu, bilden sich unheilvolle Allianzen, macht sich das Grauen in der Idylle breit.


Als Annabel eintrifft, ist es im Garten noch sonnig und hell - wie sehr soll das immer diffuser, immer dunkler werdende Licht später die Atmosphäre hier vergiften. Die Rückkehr in die alte Heimat scheint Annabel einigermaßen außer Fassung zu bringen - Haus und Grund sind heruntergekommen, die Schwester ist nicht da, dafür wartet die noch zu Lebzeiten des Vaters gefeuerte Krankenschwester Alice (Gabriele Zink) auf Annabel und erzählt ihr eine schier unglaubliche Geschichte: Alice behauptet, Miriam habe den Vater umgebracht. Zum Beweis zeigt sie die Kopie eines Briefes des Vaters, der das schlimme Ende kommen sieht. Nun will Alice 100 000 Pfund dafür, dass sie diese Wahrheit, die Miriam unweigerlich ins Gefängnis bringen wird, nicht der Polizei verrät. Das Wiedersehen der Schwestern gestaltet sich nach dieser Eröffnung laut und hysterisch - erneut scheinen sich die beiden unterschiedlichen Charaktere vor den Augen der Zuschauer zu entpuppen: Annabel ist genervt, bewahrt aber Contenance; Miriam kreischt und weint. Und gibt die entsetzliche Tat zu.


Als Alice das finanziell deutlich abgespeckte Angebot der Schwestern empört zurückweist, muss sie dafür bezahlen. Gabriele Zink sorgt mit ihrer fast zirkusreifen Darstellung als vergiftetes Opfer für einen Höhepunkt des Abends - doch auch hier sollte der Zuschauer nicht glauben, die Trickkiste der erpressenden, rachsüchtigen, verlogenen und verletzten Frauen sei bereits ausgeschöpft. Mit stillem Bedauern belässt es die Rezensentin bei diesen vagen Andeutungen. So viel noch: Auch Sybille Denker und Regine Effinger bekommen nach der Pause noch Gelegenheit, ihren Figuren die Haut Schicht für Schicht abzuziehen. Was sich darunter befindet, ist wundgescheuertes, nacktes, pralles Leben. "Die uns allein gelassen haben, denen wollen wir wehtun" , sagt diejenige, die dem Stück seinen Namen gab: "Falsche Schlange" . Temporeich inszeniert und mit viel Spielfreude umgesetzt, wird daraus ein überraschender Theaterabend. Was kann man mehr wollen? (Heidi Ossenberg, BZ)


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