Kritiken

Der Gott des Gemetzels von Yasmina Reza

Badische Zeitung vom 29.01.2009

Fabelhaftes Ensemble

Ein Stück, das wie geschaffen ist für das Freiburger Wallgraben-Theater: kein Bühnenaufbau, keine komplizierte Handlung, kein Ausstattungsaufwand. Ein Kammerspiel für zwei Paare – das eine, auf der intimen Bühne schon mehrfach bewährt im ehelichen Psychodrama, um ein zweites verdoppelt zum Quartett infernal. Zwischen Kunstbänden, Apfelbirnenkuchen und Tulpenbuketts klafft plötzlich ein Loch in der durch höfliche Konversation beschworenen Gesittung. Der zunehmenden Verwilderung im Gebaren zivilisierter mittelalter Mitteleuropäer folgt man mit voyeuristischer Schadenfreude. Doch Vorsicht: Es könnte jeden treffen.


"Der Gott des Gemetzels" ist das jüngste geniale Stück der zu Recht erfolgreichsten französischen Dramatikerin Yasmina Reza, die zuletzt den Wahlkämpfer Nicolas Sarkozy aus nächster Nähe wie eine fremde Spezies beobachtet hat ("Frühmorgens, abends oder nachts"). Wie keiner Zweiten gelingt es Reza in ihren Dramen, ihre Feldstudien zur Bewusstseinslage des eingebildeten Bildungsbürgers in scharfzüngige, ätzend komische Dialoge zu gießen: ein gefundenes Fressen für Schauspieler, die die Freude an geschliffenen Formulierungen noch nicht verloren haben. Das Kellertheater am Rathaus ist auf Reza abonniert. "Der Gott des Gemetzels", das in der Regie von Heidemarie Gohde als Freiburger Erstaufführung zu sehen ist, ist nach "Drei Mal Leben" und "Kunst" der dritte Reza-Streich.


Ein – wieder – überaus geglückter: Mit Regine Effinger und Hans Poeschl sowie den Gästen Sabine Bräuning und Peter Pruchniewitz spielen sich haargenau die Richtigen die Sätze zu wie gemein geschnittene Tischtennisbälle – auf einer Bühne, aus der die Regisseurin mit einer halbrunden schmalen weißen Bank vor einer hellen Stoffwand einen nicht sonderlich gastlichen Wohnungsvorraum gemacht hat. Hier hält man sich nur vorübergehend auf, auf einen Drink, für einen Espresso – länger war die Zusammenkunft der Paare nicht gedacht. Außer auf dem Arme-Sünder-Bänkchen kann man höchstens noch auf den reihenweise aufgestapelten Kunstbänden sitzen: Die Herrin des Hauses Véronique Houillé ist überaus kulturbewandert. Damit nicht genug: Sie engagiert sich mit gutmenschlicher Inbrunst für die gerechte Sache der Geknechteten dieser Erde. Deswegen reagiert sie besonders allergisch auf Gewalt. Obwohl: Es ist ja eigentlich nur eine Prügelei zwischen zwei Elfjährigen, bei der der eine – Verós Sohn Bruno – zwei Zähne verloren hat. Die Eltern der Streithähne sind zusammengekommen, um die Sache in gutem Einvernehmen zu regeln.
Das Vorhaben entgleist – und zwar gründlich. Nach einer Schlacht nicht nur mit Worten bleiben die vier seelenwund zurück. Eine kathartische Wirkung der Gefühlseruptionen ist mehr als zweifelhaft. Für den unkontrollierten Ausbruch aus den Konventionen ist vor allem Sabine Bräuning zuständig: Ihre Annette Reille, Mutter des kleinen "Bösewichts" Ferdinand und Ehefrau des am Handy wie ein Junkie an der Spritze hängenden skrupellosen Anwalts Alain (bei Hans Poeschl ein Zyniker der leisen Töne), verliert früh die Fassung, als sie auf den wertvollen Kokoschka-Katalog und das Nadelstreifensakko ihres Mannes kübelt. Nach dem Genuss von Rum in Strömen löst sie ihre wallende Mähne auf, stürzt sich wie eine Megäre auf ihr Hassobjekt Nummer eins und versenkt es in der Vase, bevor sie die dazugehörigen Blumen niedermetzelt.


Die Steigerung von der braven Gattin im adretten Kostüm zur Wüterin gelingt Bräuning famos – sie ist das Gegenstück zur noch im fassungslosen Weinen beherrschten Véronique Regine Effingers, die ihrer grenzenlosen Enttäuschung über das moralische und geistige Mittelmaß ihrer Umgebung mit Blicken Ausdruck verleiht, die töten können. In ihrem Mann Michel, einem Großhändler unter anderem für Klospülungen, findet sie das dankbarste Objekt ihrer Verachtung – und Peter Pruchniewitz wirft sich mit Wonne in die Rolle des feigen Spießers, der nachts heimlich den Hamster seiner Tochter aussetzt. Die Wildnis ist mitten unter uns: So bitterböse vergnüglich wird einem diese Botschaft selten nahe gebracht. Yasmina Reza sei Dank – und dem fabelhaften Ensemble des Wallgraben-Theaters.(BZ, Betina Schulte)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

Gefördert durch
Deutscher Bühnenverein