Kritiken

Pension Schöller von

Kultur Joker vom 02.08.2010

Von der Provinz aus muss Berlin Ende des 19. Jahrhunderts Versprechen und Drohung gewesen sein. Was in diesem Moloch passierte, kannte man allenfalls vom Hörensagen. "Ich bin nach Berlin gekommen, zu hören und zu sehen", sagt in Wilhelm Jacobys und Carl Laufs Posse "Pension Schöller" Gartenlaubenautorin Josephine Krüger; Philipp Klapproth hingegen will seinen Kumpels zuhause etwas erzählen, das sie wirklich umhaut. Die "galanten Abenteuer", die sein Neffe Alfred vermutet, sind dem Gutsbesitzer viel zu anstrengend, echte Irre will er sehen. Ende des 19. Jahrhunderts, der Schwank wurde 1890 in Berlin uraufgeführt,waren derartige Heilanstalten noch gar nicht so alt. Kein Wunder also, dass sie für Klap- proth verführerisch waren: die Normabweichung mitten in der Gesellschaft, wie schrecklich und aufregend zugleich! Und natürlich ein Stoff für eine Posse. Denn wer kennt sie nicht die Narren, die die Komödien bevölkern? Und auch das Auto- renduo sollte sich damit ausgekannt haben, schließlich waren die beiden Mainzer überzeugte Karnevalisten. Im Wallgrabentheater hat der Narr derzeit kurze Beine. Auch, das ist ein Motiv, das nicht ganz unbekannt ist. Auf der Freiluftbühne der 35. Rathaushofspielen nimmt man's jedoch nicht als Alleinstellungsmerkmal, sondern demo- kratisch. Sowohl die Figuren,die in Wilhelm Jacobys und Carl Laufs' Stück von Klapproth für verrückt gehalten wer- den - als auch er selbst - haben auf Oberschenkelhöhe Schuhe angeschnallt, die die Beine optisch verkürzen.

Die Darsteller agieren vor einer schwarzen Balustrade, so dass es scheint, als wären sie wirklich so klein. Andreas V. Studnitz zitiert mit diesem Regieeinfall das Vaudeville und Kuriositätenshows. Mag sein, dass Studnitz' Gedanke dabei war, zu zeigen, dass Anderssein völlig normal ist (entsprechend viele Dialekte sind auf der Bühne zu hören) und dass Lügen eben kurze Beine haben. Dennoch wirken diese puppenhaften Gestalten despektierlich, zumindest aber zwiespältig. Großwildjäger, Gartenlaube, verkuppelnde Mütter, duellie- rende Majore - alles "olle Kamellen", um in Schöllers Jar- gon zu bleiben. Zuletzt wurde "Pension Schöller" 1960 mit Theo Lingen verfilmt, ist aber auch eine sichere Bank fürs Sommertheater. Die Posse jedenfalls entwickelt sich wie am Schnürchen, fast wie eine Nummernrevue der Skurrilitä- ten mit ausgesprochen aufwendigen, historisierenden Kostü- men sorgfältig ausgestattet. Da gibt's den Vielreisenden Fritz Bernhardy (Burkhard Wein), die überspannte Trivialschriftstellerin Josephine Krüger (Regine Effinger), einige blutjunge Töchter (Sabine Bräuning und Regine Effinger), den Musensohn Eugen Hümpel (Ives Pancera), der trotz seines Sprachfehlers (er kann kein ,,1" sprechen), sich eine Karriere als Schauspieler erhofft, nur mühsam von seinem bodenständigeren Onkel, Pensionsleiter Schöller (Peter W. Hermanns), im Zaum ge- halten. All diese Pensionsgäste von Schöller werden Philipp Klap- proth als Insassen einer psychiatrischen Anstalt von seinem Neffen Alfred (Ives Pancera) untergejubelt. Schöller (schön ausgestellter Biedersinn: Hans Poeschl) genießt und schweigt nicht und reitet sich in Probleme. Schöller ist für seinen Dar- steller eine Lustspielrolle nach Maß, die trotz aller Typisierun- gen dieser Inszenierung der Figur menschliche Züge verleiht. Klar dominieren jedoch die komödiantischen Gesten, die Ka- rikatur, der schnelle Witz(Annette Hoffmann):




Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

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