Der König von Jörg Nadeschdin
Badische Zeitung vom 26.11.2005
"Die Langeweile vertrieben"
Der König im Freiburger Wallgraben Theater
von und mit Jörg Nadeschdin
Kaiser Franz feiert seinen 60. Geburtstag, der King of Pop seinen Freispruch vor Gericht und Jürgen Drews sich selbst als König von Mallorca. Wie deplaziert muss sich da ein echter Monarch im Purpurmantel, gesäumt von weißem Hermelin, mit goldenem Zepter und edelsteinbesetzter Krone auf einem überdimensionalen weißen Thron vorkommen, wenn ihm die selbst ernannten Könige der pluralistischen Spaßgesellschaft gnadenlos den Rang ablaufen. Er ist einsam verdammt einsam.
Und er beginnt zu erzählen. 100 Minuten dauert seine Audienz: Ein einziger tragikomischer Monolog, den Jörg Nadeschdin als Der König das ist zugleich der Titel des Stücks sich selbst auf den Leib schrieb. Es ist das erste größere Bühnenstück des Ensemblemitglieds am Freiburger Wallgraben Theater, das jetzt dort zur Uraufführung kam. Die reduzierte Form des Monologs, den die schnörkellose Inszenierung von Christian Bronder unterstreicht, ist Herausforderung und Gewinn zugleich.
Nadeschdins König ist menschlich und damit vielschichtig. Erst herrschaftlich aufbrausend, dann im Rückzug ins Private. Dem Wahnsinn scheint er anheim zu fallen, wenn er wider bürgerliche Ersatzkönige wettert und gegen die Presse, die ihn mit jenen unter eine Schmuddelkrone stecken will. Dann wieder überspielt er pointenreich seine Langeweile. Alles was er tut, richtet sich nach dem Hofprotokoll, dem Diktat eines sadistischen Zeremonienmeisters, den der König am liebsten umbrächte wie Nero die Christen ? obwohl er sich von derlei despotischen Vorfahren distanziert. Ja, was das Harfenspiel, den Tanz und seine Dichtkunst angehe, so sei er sowieso Nero um Längen voraus. Und weil ihm so langweilig ist, gibt er dem zuschauenden Volk einige Kostproben seiner Kunst. Und seine Untertanen goutieren die Intermezzi mit Szenenapplaus.
Ausgelassen ist der König hingegen nie, besonders nicht, wenn ihm der Zeremonienmeister den Besuch der königlichen Gruft androht. Er ahnt eine Verschwörung. Am Hof hat er ohnehin nur einen Freund, den Lieblingsdiener Franz. Der versteht ihn, brachte ihm einstmals, als der Zeremonienmeister krank war, des Königs neue Kleider: Baseballcap und Jeans.
Kein Interesse mehran MätressenSo mischte er sich unters Volk um volksnah mit Pommes, Mayo und Bratwurst ?mal so richtig rumzusauen?. Und dann ? die königsblauen Augen beginnen mitten in der Rede zu blitzen ? traf er sie: Gwendolyn, seine bürgerliche Geliebte. ?Liebe auf den ersten Blick. Es gibt sie tatsächlich.? Und der König verfällt dem Liebeswahn: Kein Interesse mehr an Mätressen, Schluss mit Schnallenschuhen, Pumphosen und Kronjuwelen, es lebe das bürgerliche Leben, die Audienz ist beendet und der König verlässt, von Beifall begleitet, den Theaterkeller als Hausmeister Thorsten König durch die Hintertür. Lieber Hoffegen statt Hofprotokoll.
Nadeschdin gelang es die Langeweile des Monarchen in lustvolle Kurzweil fürs Publikum zu wandeln. Es amüsierte sich königlich. (Sören Schmeling)