Kritiken

Der Liebhaber von Harold Pinter (Kultur Joker)

Kultur Joker vom 01.04.2007

Rendezvous zu viert

Beziehungskunst: Anatol Preissler inszeniert "Der Liebhaber" im Wallgraben Theater Wenn eine gute Beziehung vor allem eine Frage der Frustrationstoleranz ist, dürfte Richard eine ausgezeichnete Ehe führen. Denn die Neutralität, mit der er sich nach dem Rendezvous seiner Frau Sarah erkundigt, verlangt einiges an Selbstverleugnung.

Der Mann schaut aufs große Ganze, von Eifersucht auf Sarahs Liebhaber keine Spur. Beispiele für die Rolle des Hahnrei und des betrogenen Ehemanns finden sich in der Dramenliteratur zuhauf. Doch bei Harold Pinters "Der Liebhaber" irritiert etwas. Die Ruhe der betrügenden Gattin scheint derart ungetrübt und die des Gatten durch kein Zornesgewitter gestört. Was Menschen zusammenhält, lässt sich also getrost ein Rätsel nennen. Der Alltag von Sarah und Richard ist in Routine erstarrt. Während er sich auf seinen Bürojob vorbereitet, pflegt sie das Heim. Wenn sie wackelig den Stuhl besteigt, um den Staub auf den Fensterrahmen zu wischen, wenn sie mit dem Mob den Boden putzt, hört man aus dem Radio den alten Schlager "Das bisschen Haushalt". Ihre mit mehreren Stühlen nur spärlich möblierte Wohnung, von deren großem Fenster der Sonnenuntergang zu beobachten ist, erzählt keine Geschichte ihrer Liebe, ihres Zusammengehörigkeitsgefühls. Sitzen sie abends mit einem Drink zusammen, suchen die Eheleute Distanz zueinander. Es ist ein Stellungskrieg, der nur auf den ersten Blick wie ein ausgewogenes Verhältnis wirkt, den Anatol Preissler im Freiburger Wallgraben Theater inszeniert. Sichtlich genießt Sarah (Johanna Bronkalla) den großen Auftritt im weit ausgeschnittenen schwarzen Kleid und den roten Pumps. Wenn sie die Schuhe immer noch trägt, als ihr Mann zum Abendessen nach Hause zurückkehrt, glaubt man kaum an ein Versehen. Den Ehemann an ihr zweites Leben zu erinnern, macht ihr Spaß. Und doch ist es komplizierter, sind doch Liebhaber und Ehemann identisch. Nach einigen Jahren haben sich die beiden das Arrangement einfallen lassen, der mittlerweile zehn Jahre dauernden Ehe durch ein derartiges Rollenspiel, das mit der Gefahr nur kokettiert, erotische Spannung zu geben. Es muss ihre Idee gewesen sein, denn Richard (Hans Poeschl) leidet zunehmend darunter. Den eigenen Mann, mit ihm selbst zu betrügen, ist höhere Beziehungskunst, aber möglich und rührt an Fragen der Identität. Und hier wäre es wirklich spannend geworden, hätte Anatol Preissler die misogynen Untertöne des 1961 uraufgeführten Dramas und seine erotischen Spiele ein wenig entstaubt. So herrscht Psychologie vor. Die Zuschauer, die mehrheitlich auch mindestens seit zehn Jahren verheiratet sind, werden Zeuge, wie Richard Sarah vernichtet. Die Geliebte erst gegenüber der Ehefrau Hure nennt, dann ihr durch das Adjektiv "knochig" jeden Reiz abspricht. Sarah, Ehefrau und Geliebte, ist gekränkt, kann ihren Mann, der einmal als kreuzbraver Ehegatte sich um die Stockrosen kümmert, als Liebhaber jedoch mit ihr lasziv und herausfordernd Tango tanzt, nicht verstehen, ahnt jedoch, dass sie ihn verlieren wird.


Dies geschieht in diesem solide inszenierten Kammerspiel, jedoch anders als erwartet. (Annette Hoffmann)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

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