Kritiken

Der Tod und das Mädchen von Ariel Dorfman

Badische Zeitung vom 11.04.2009

Eine Frau demütigt ihren Peiniger

Das Stück auf der Bühne des Wallgraben-Theaters beginnt mit einem symbolhaften Bild: Eine Frau im Nachthemd erscheint, sie drückt sich an der Wand entlang bis zu einem bestimmen Punkt, verharrt dort und lauscht. Von hinten fällt Licht auf ihre Gestalt — Licht, durchbrochen von einem halb geschlossenen Rollo. Das hell-dunkle Muster, das sich auf dem weißen langen Hemd auf dem Rücken der Frau abbildet, scheint die Frau wie hinter Gefängnisgitter zu bannen, unterteilt sie gleichzeitig in einen lichten und einen dunklen Teil, macht sie für ihre Mitmenschen rätselhaft und durchschaubar zugleich.


Die Frau heißt Paulina Escobar, gespielt wird sie von Regine Effinger. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Rechtsanwalt Gerardo (Peter Haug-Lamersdorf), in einem abgelegenen Haus irgendwo in Südamerika. 15 Jahre bevor das Stück "Der Tod und das Mädchen" von Ariel Dorfman einsetzt, war Paulina Opfer eines mittlerweile abgesetzten totalitären Regimes. Sie ist gefoltert und vergewaltigt worden — hat aber überlebt. Dabei hat sicher Gerardo geholfen, der Paulina ein liebevoller Ehemann ist, aber auch auf seine (männlich-rationale) Weise versucht, die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Demokratie zu stützen. Als Vorsitzender eines Ausschusses will er die Foltermethoden des Unrechtssystems öffentlich machen.
Eines Abends hat Gerardo eine Autopanne. Der Arzt Roberto Miranda (Andreas Sindermann) hilft ihm und gelangt so in Paulinas und Gerardos Haus. An seiner Stimme erkennt Paulina ihren Peiniger von damals. Sie beschließt, ihm den Prozess zu machen, fesselt ihn an einen Rollstuhl, bedroht ihn mit einer Pistole und beginnt, ihn zu quälen und zu demütigen — wie sie vor 15 Jahren von ihm gequält und gedemütigt worden ist.
Für das Wallgraben-Theater, bekannt für niveauvolle Boulevard-Stücke, ist die Inszenierung eines solch politischen Psychodramas eher ungewöhnlich. Regisseur Hans Poeschl kann sich zum einen auf drei präzise agierende Schauspieler verlassen. Zum anderen gelingt es ihm, neben der politischen auch die persönlichen Aspekte dieses teilweise erschütternden Kammerspiels herauszuarbeiten. Schon der Dialog des Ehepaares vor dem Auftauchen von Miranda zeigt, dass das, was einem Menschen von einem Regime angetan wurde, immer auch Wunden schlägt in die Beziehungen zu den Menschen, die dem Opfer am nächsten stehen. Nie kann ein Leben nach Folterung und sexueller Gewalt mehr so sein, wie es zuvor gewesen ist.
Diese Botschaft ist es, die Paulina lebt. Regine Effinger spielt sie als zwar innerlich unheilbar verletzt, aber unbedingt lebenswillig. Paulinas Stärke und Radikalität hat Dorfman in manchmal erschreckend klare, auch vulgäre Sprache gepackt. Paulina hat die Angst der Gesellschaft — repräsentiert durch ihren Ehemann — vor den überlebenden Opfern erkannt. Und diese Angst will sie Gerardo, dem sie vorwirft, nur den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nehmen: indem sie selbst urteilt, auch rächt.


Kann Folter ein Mittel zur Wahrheitsfindung sein? Das Stück stellt viele Fragen wie diese — und Hans Poeschl ist klug genug, keine fertigen Antworten zu geben. Auf einer sparsam nur mit einigen Sitzgelegenheiten ausgestatteten Bühne ist vor allem Raum für Sprache und Spiel; die differenzierte Lichtregie, welche die Szenen durch komplette Verdunkelung voneinander trennt, verhilft dem Zuschauer zu Atem- und Denkpausen. Langer Applaus für eine beeindruckende Ensembleleistung (Heidi Ossenberg, BZ)


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

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Deutscher Bühnenverein