Kritiken

"39 Stufen" von Alfred Hitchcock

Badische Zeitung vom 21.05.2011

Mit dem Zug zu fahren war in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine wackelige Angelegenheit. Das jedenfalls demonstrieren die drei Herren in dem aus zwei Koffern und einem Garderobenständer improvisierten Zugabteil auf der Bühne des Freiburger Wallgraben Theaters: Sie wippen und sie ruckeln, sie schaukeln und fallen mehrmals ineinander. Zumal, wenn sie die Plätze tauschen, weil einer von ihnen "eine Stange Wasser wegbringen" muss. Das Publikum kommt aus dem Kichern nicht mehr heraus – obwohl es doch eigentlich eher mit angehaltenem Atem darauf lauern müsste, ob der als vermeintlicher Mörder gesuchte Richard Hannay von seinen beiden Mitfahrern erkannt und womöglich an die Polizei ausgeliefert wird...  Nein, dramatische Spannung, Grusel gar sind nicht die Themen an diesem Abend. Zwar lieferte "Suspense"-Meister Alfred Hitchcock mit seinem 1935 gedrehten Thriller "Die 39 Stufen" die Vorlage, aus der Patrick Barlow eine 2006 in London uraufgeführte Kriminalkomödie fürs Theater machte. Bei Christian Lugerth wird daraus in seiner ersten Regiearbeit am Wallgraben eine episodenhaft erzählte Farce – mit Elementen aus (Film)Komödie, Klamotte und Comic. Schon Hitchcock hatte für seinen Film weitgehend auf realistische Bezüge verzichtet und dafür auf Tempo, Verwicklungen und häufig wechselnde Schauplätze gesetzt. Die hanebüchene Spionagegeschichte, in der ein ganz normaler Bürger aus heiterem Himmel eine Agentin bei sich aufnimmt, diese kurz darauf in seiner Wohnung ermordet auffindet, daraufhin nach Schottland reist, um einen ausländischen Geheimbund daran zu hindern, ganz Großbritannien in Gefahr zu bringen, wird in Freiburg zur lupenreinen Comedy.

Und warum nicht? Wer ein Schauspielteam dieser Güte verpflichten kann, der muss sich keine Sorgen machen. Mit Sybille Denker, Markus Bölling, Ives Pancera und Burkhard Wein sind nur vier Darsteller auf der Bühne – doch sie schlüpfen dort in mehr als 30 Rollen! Vor allem Pancera und Wein wechseln die Figuren in solch rasender Geschwindigkeit und mit solcher Präzision, dass man nur staunen kann. Ein neuer Hut, ein anderer Mantel – und schon wird aus dem Zeitungsjungen der Professor, aus dem Trenchcoat-Agenten die in blauen Samt gekleidete Mrs. Jordan (Kostüme: Franzy Deutscher). Dass das Ganze durch feine Schauspielkunst mit punktgenau passenden Gesten, Mimik und angepasster Stimmlage ergänzt wird, gefällt den Zuschauern und ist von Lugerth auch weitgehend gut komponiert.

Dass der Regisseur an manchen Stellen noch eins draufsetzen muss, überreizt den Theaterabend stellenweise. Ist der Gag mit dem Keks, der immer nur hörbar, nie tatsächlich angeknabbert wird, noch witzig, könnte man auf Ernie und Bert aus der Sesamstraße oder den irren Norman Bates und seine Mutter aus Hitchcocks Film "Psycho" gut verzichten. Ein wenig rätselhaft bleiben auch die Brechungen vor allem in der ersten Hälfte des Abends, wenn die Schauspieler für kurze Ansagen an ihre Mitspieler aus ihren Rollen heraustreten. Sollte das ein Stück im Stück sein, so wird es nicht aufgelöst. Nichtsdestotrotz gerät die Premiere von "39 Stufen" zu einem unterhaltsamen zweistündigen Theaterabend, von dem vor allem die überzeugende Ensembleleistung im Gedächtnis bleibt.


Wallgraben Theater
Das kleine Schauspielhaus in Freiburg

Wallgraben Theater

Rathausgasse 5a
79098 Freiburg

Gefördert durch
Deutscher Bühnenverein